(nicht) fern

Guido Baselgia fotografiert Landschaften des Engadins – das mag richtig sein, doch damit beginnt bloss die Reise in das faszinierende Universum eines meisterhaften Malers des Lichts. Für seine an abstrakte Malerei erinnernden Arbeiten betreibt Guido Baselgia aufwändige Recherchen, macht Kalkulationen und verharrt mit seiner analogen Grossbildkamera klare Nächte lang an höchst sorgfältig ausgewählten Orten. Dazu reist Baselgia bis ans Ende der Welt, steigt unzählige Male auf Gipfel oder fotografiert aus der Luft, bis er das hochpräzise Bild auf die Bromsilberschicht gebannt hat. Mit seinen auf Barytpapier preisgegebenen Schätzen reizt er die physikalischen Möglichkeiten der Fotografie bis zum Äussersten aus. 

Guido Baselgia
Meister der analogen Fotografie

Der in Pontresina aufgewachsene Fotokünstler Guido Baselgia wurde 2016 für sein einzigartiges handwerkliches und künstlerisches Schaffen mit dem Pontresiner Kulturpreis geehrt. Er gehört zu den wichtigsten Fotokünstlern der Schweiz. Seit mehr als 20 Jahren untersucht er in breit angelegten Recherchen Landschaften der Extreme.

Baselgias Kompositionen zeigen das Archaische und Unberührte der Erde.

Baselgias Kompositionen zeigen das Archaische und Unberührte der Erde, ganze Landschaften, Oberflächenstrukturen oder nie gesehene Lichtphänomene – Bilder ohne jede Gegenständlichkeit – für uns zuweilen ein rätselhaftes, vermeintliches Nichts; sie dringen tief in die Natur ein und zeigen „was die Welt im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Faust). Er lädt uns aufgrund seines sorgsam durchdachten Vorgehens in eine eigentliche „Schule des Sehens“ ein. Mit seinen Werkzyklen „Hochland“, „Weltraum“, „Silberschicht“, „Light Fall“ und nun „(nicht) fern“ hat Guido Baselgia seinen eigenen, prägenden Kunststil entwickelt.

In seiner für Pontresina konzipierten fotografischen Arbeit thematisierte Baselgia die Nähe und die Ferne. Orte, die er seit seiner Jugend kennt, werden in seinen Bildern zentral und universal. So sind der Piz Languard oder die Gletscher um Pontresina gleichermassen nah oder fern wie Orte im Altiplano oder am Polarkreis.

"Von hier oben sieht man, was Landschaft aushält, man sieht nicht mehr viel von der Urbanisierung."

Kunstreflexion auf dem Piz Languard 

Guido Baselgia zeigte seine Werke 2016 im öffentlichen Raum von Pontresina und bei der Galerie Plattner & Plattner. Auf dem Gipfel des Piz Languard hat der in Malans lebende Fotograf Auskunft über seine Kunst gegeben. Am Samstag sah es bei strömendem Regen nicht danach aus, als könnte das Künstlergespräch mit Guido Baselgia auf 3261 Metern über Meer stattfinden. Aber die Prognosen waren gut, und die Veranstalter mutig. So machte sich am Sonntagmorgen eine kleine Gruppe im dichten Nebel auf den Weg. Alles war eingehüllt in sanftes, weiches Licht. Die Situation passte gut zu dem bevorstehenden Gespräch. Zeigen doch gerade Baselgias Fotografien keine harten Kontraste und scharfen Linien, sondern wirken vielmehr mit ihren weichen Übergängen oft wie gemalt. 

Der weite Blick 

Baselgia gab der Zürcher Kuratorin Susann Wintsch Auskunft über sein Werk, seine Schaffensweise und den Bezug zu Pontresina, wo er aufgewachsen ist. "Der Piz Languard ist der Hausberg, er ist relativ gut erreichbar", erklärte Baselgia. "Was ihn einzigartig macht, ist die Tatsache, dass er nach Ost und nach West keinen einzigen höheren Berg vor sich hat." Lungo Guardo, der weite Blick, wird er auch genannt, und der Künstler kommt jedes Jahr zurück auf den Gipfel. "Von hier oben sieht man, was Landschaft aushält, man sieht nicht mehr viel von der Urbanisierung. Der Piz Languard ist ein Fixpunkt für mich", ergänzte Baselgia. "In der Nacht allein auf dem Gipfel zu sein, ist ein Erlebnis, ein Gefühl wie am Rande des Universums, man ist auf sich zuückgeworfen."

Auf dem Piz Languard entstand im November 2015 bei der Tagundnachtgleiche ein faszinierendes Bild, das als Triptychon in Pontresina zu sehen war. Im Werk mit dem Titel "Lungo Guardo – Eine Nacht lang 11./12.11.2015 18.00 - 6.00. 46°" hat der Fixstern eine zentrale Bedeutung. "Fotografie macht etwas sichtbar, was man mit blossem Auge gar nicht sieht", konstatierte der Künstler, der analog mit der Grossbildkamera fotografiert. "Es ist ein flaches Medium mit wunderbarer Tiefe." Der Erdschatten ist ein zentrales Thema für Baselgia. Seine Arbeiten untersuchen aber nicht nur Licht- und Naturphänomene, die man sonst gar nicht wahrnehmen könnte, sie vermitteln auch den Zugang zu extremen Landschaften selbst und ermöglichen einen neuen Blick darauf.

Ihn beschäftigt die Frage nach der Wahrheit, nach dem, was man meint, gesehen zu haben.

Die Reduktion auf das Sein 

"Wichtig ist für mich die Ausstrahlung des Bildes" betonte Baselgia. "Wo jeder seine Geschichte einbringen kann." Seine zeitlosen Arbeiten sind philosophisch, man kann immer wieder bei Null anfangen, kann sich in ihnen verlieren, kann entdecken, nachspüren, empfinden. Fotografie hat für Baselgia ein ungeheures Schöpfungspotenzial, und wichtig ist ihm die Reduktion auf das Sein. "Die analoge Fotografie hat etwas Unmittelbares, es ist ein magisches Band von Aufnahmen, bis ein Bild entsteht", vermittelte er seine Begeisterung. "Es hat mit der Zeit zu tun, die vergeht, es ist eine Kondensierung, eine Strategie von Langsamkeit."

Wichtig ist Baselgia die Distanz, die Reflexion bei der Arbeit im Labor. Oft lässt er Filme oder auch Bilder ruhen, weil sich für ihn die Erinnerung mit der Zeit verändert. Ihn beschäftigt die Frage nach der Wahrheit, nach dem, was man meint, gesehen zu haben. Nichts ist für ihn zwingend klar, und er will auch keine Wahrheit vermitteln. "Ich versuche, Bilder zu machen, die auch mich noch irritieren", bekannte er. Die Magie der Bilder liegt für Baselgia im Fotografieren. "Sie sind quasi in einer Kamera, wo einmal kurz eine Blende aufgeht, die Einbildungskraft spielt eine grosse Rolle." Seine Strategie ist es, das Denken, wie ein Bild auszusehen hat, auszuschalten. Baselgia will ein anderes Sehen hervorrufen, nicht der gängigen Bildkonvention erliegen. "Zwischenräume" sind ihm wichtig, jedem Betrachter soll sich durch das, was seine Bilder ausstrahlen, seine eigene, höchstpersönliche Welt eröffnen. 

Text von von Marina U. Fuchs, Südostschweiz Aug. 2016